Mehrsprachiges Aufwachsen im Kindesalter

Inhaltsübersicht

Einführung: Quiz der sprachlichen Vielfalt
Formen der Mehrsprachigkeit
Einflussfaktoren auf den Spracherwerb
Und nun?
Quellen und Vertiefung

Einführung: Quiz der sprachlichen Vielfalt

Zum Mitmachen

Beantworten Sie die fünf Fragen im „Quiz zur sprachlichen Vielfalt“ und notieren Sie Ihre Ideen und Antworten, zum Beispiel im Lerntagebuch. Hinweis: Die Lösung finden Sie auf der Rückseite der Karte, indem Sie auf „Umdrehen“ klicken. Durch die Pfeiltaste gelangen Sie zur nächsten Quizfrage.

Das „Quiz der sprachlichen Vielfalt“ zeigt: Einsprachigkeit gibt es nicht! Auch vermeintlich einsprachige Menschen nutzen Begriffe aus anderen Sprachen und Dialekte, die sich bzgl. Wortschatz, Aussprache und Grammatik von der Standardsprache unterscheiden. Zugleich wird deutlich, dass es wichtig ist, den sprachlichen Hintergrund von Kindern zu kennen, da sich beispielsweise Tierlaute je nach (Herkunfts-)Land und (Familien-)Sprache unterscheiden können und es Begriffe geben kann, die sich nicht so einfach ins Deutsche übersetzen lassen.

Der aktuelle Bildungsbericht 2024 (Link zum Bildungsbericht) zeigt: 25 % der Kita-Kinder im Alter von drei Jahren bis zum Schuleintritt und 17 % der unter 3-Jährigen in Kitas wuchsen im Jahr 2023 mit einer nichtdeutschen Familiensprache auf. Mehrsprachig aufwachsende Kinder gehören in Kitas demnach zum Alltag. Um diese Kinder professionell begleiten zu können, ist es wichtig, Einflussfaktoren und Formen der Mehrsprachigkeit zu kennen. Diese werden in diesem eLakoS-Impuls erläutert.

Formen der Mehrsprachigkeit

Mehrsprachige Kinder sind eine sehr heterogene Gruppe. So leben manche schon seit ihrer Geburt in Deutschland, andere sind zugezogen. Manche wachsen von Anfang an mit zwei oder mehr Sprachen auf, andere erlernen Deutsch als weitere Sprache erst in der Kita oder in der Schule.

Sehen Sie das Video, um mehr über die beiden Formen der frühkindlichen Mehrsprachigkeit zu erfahren.

Das Wichtigste aus dem Video zusammengefasst:

Simultaner Spracherwerb: Beispiel

Felipe (4 Jahre) lebt mit seiner Familie in Leipzig und besucht dort seit seinem 2. Lebensjahr eine Kita. Seine Mutter ist Spanierin und sein Vater Deutscher. Seine Mutter redet normalerweise Spanisch mit ihm, sein Vater Deutsch. Seit seiner Geburt lernt Felipe also parallel zwei Sprachen. Beide Sprachen sind seine Erstsprachen.

Simultaner Spracherwerb: Erklärung

Wenn Kinder in den ersten Lebensjahren mehrere Sprachen gleichzeitig lernen, wird von einem simultanen oder bilingualen Erwerb gesprochen. Der Ablauf und die Muster des Spracherwerbs ähneln hierbei denen einsprachiger Kinder. Bilingual aufwachsende Kinder unterscheiden sich daher im Kindergarten meist wenig von einsprachig aufwachsenden Kindern. Es kann jedoch sein, dass sie erst später mit der Sprachproduktion beginnen. Auch können Sprachmischungen (sog. Code-Mixing, z. B. „Look, Claudia. Ich hab ein großes car!“) auftreten. Dies ist jedoch kein Anlass zur Sorge, sondern eher Ausdruck von Sprachkompetenz.

Sukzessiver Spracherwerb: Beispiel

Anna (7 Jahre) ist vor zwei Jahren mit ihrer Mutter nach Dresden gezogen. Vorher hat sie mit ihrer Familie in der Ukraine gelebt und dort ausschließlich ihre Erstsprache Ukrainisch gehört und gesprochen. Seit sie in Dresden wohnt, geht sie in eine Grundschule und besucht die Musikschule. Hier lernt sie nun auch ihre Zweitsprache Deutsch.

Sukzessiver Spracherwerb: Erklärung

Wenn im Laufe des Kindesalters eine weitere Sprache erworben wird, spricht man vom sukzessiven Mehrsprachigkeit oder Zweitspracherwerb. Hier wirkt sich die Kompetenz in der Erstsprache stark auf die neue Sprache aus: Je besser die Kinder ihre Erstsprache(n) beherrschen, desto besser können sie weitere Sprachen erlernen. Meist beginnt der Ausbau der Sprachkompetenz in der Zweitsprache mit einer rezeptiven Phase: D. h. die Kinder kommunizieren eventuell selbst in ihrer Erstsprache, beobachten und hören zu und entwickeln langsam ein Sprachverständnis in der Zweitsprache. Nach einiger Zeit beginnt die aktive Phase und die Kinder beginnen, auch einzelne Wörter und Alltagsphrasen in der Zweitsprache zu verwenden. Sie erweitern zunehmend den Wortschatz und die grammatikalischen Fähigkeiten der Zweitsprache. Dabei können auch hier Sprachmischungen (sog. Code-Mixing, z. B. „Look, I drew an Auto!“) auftreten. Zudem ist der Erwerbsverlauf von vielen Faktoren abhängig.

Einflussfaktoren auf den Spracherwerb

Die sprachliche Entwicklung und der Erwerb der deutschen Sprache bei mehrsprachig aufwachsenden Kindern werden von verschiedenen Faktoren beeinflusst. Diese zu kennen und zu ermitteln, hilft den individuellen Entwicklungsverlauf zu verstehen und gezielt zu unterstützen. Folgende Einflussfaktoren und Fragen sind dabei v. a. entscheidend:

Seit wann wird Deutsch gelernt?

Je nach Alter bei Erwerbsbeginn lernen Kinder anders. Wie im Video erläutert, kann man grundsätzlich zwischen einem simultanen und sukzessiven Erwerb unterscheiden. Ebenso spielt es eine Rolle, wie lange die Kinder bereits Deutsch lernen. Ob es erst wenige Wochen oder bereits Jahre sind, ist entscheidend, wenn es darum geht, den aktuellen Entwicklungsstand im Deutschen einzuschätzen.

Wie viel Kontakt besteht zum Deutschen?

Je nachdem, wie viel Kontakt zum Deutschen besteht und wie intensiv dieser ist, wird die neue (Umgebungs-)Sprache schneller oder langsamer gelernt. Relevant sind vor allem Kontakte mit anderen Kindern bzw. Personen, die sich direkt mit dem Kind beschäftigen, mit ihm spielen, auf Deutsch mit ihm sprechen und es zur Kommunikation in der neuen Sprache animieren. Bei vielen mehrsprachigen Kindern ergeben sich solche Kontakte erst in und durch Kindertageseinrichtungen.

Was sind die Hintergründe der Mehrsprachigkeit und wie ist die Einstellung der Familie?

Wie leicht oder schnell eine neue Sprache erworben werden kann, hängt auch mit den Motiven und Ursachen für die Mehrsprachigkeit (Flucht, verschiedensprachige Familienmitglieder, …) zusammen. Ein weiterer Faktor ist die Einstellung der Familien zur Mehrsprachigkeit. Einige wollen, dass ihr Kind nur seine Erstsprache(n) spricht, andere wünschen sich, dass das Kind schnell die neue Umgebungssprache erlernt. Positive Erfahrungen, eine annehmende Umgebung und wertschätzende Beziehungen (zum Beispiel in der Kita oder im Hort) stärken das Kind im Erwerb der neuen Sprache.

Wie gut wird / werden die Erstsprache(n) beherrscht?

Bei einem typischen Erwerb der Erstsprache(n), können auch weitere Sprachen in der Regel gut gelernt werden. Daher ist es wichtig, die Familien durch eine wertschätzende Haltung gegenüber der/den Erstsprache(n) darin zu bestärken, diese weiter aktiv zu nutzen. Die Kompetenz in der/den jeweiligen Erstsprache(n) wirkt sich positiv auf den Erwerb weiterer Sprachen aus.

Und nun?

Zum Nachdenken

Denken Sie über folgende Fragen nach und notieren Sie Ihre Ergebnisse, zum Beispiel im Lerntagebuch.

Welche Formen der Mehrsprachigkeit sind Ihnen in der Praxis schon begegnet?
Wie ermitteln Sie den sprachlichen Hintergrund der Kinder?
Wie können Sie Kinder beim mehrsprachigen Aufwachsen und Erwerb der deutschen Sprache unterstützen?
Welche Schlussfolgerungen ergeben sich für die Zusammenarbeit mit Familien?

⭐ Schon gewusst? Die LakoS-SprachenWelt, das Mehrsprachen-Portfolio zur Begleitung mehrsprachiger Kinder, ermöglicht es pädagogischen Fachkräften, gemeinsam mit den Familien, die sprachliche Umwelt der mehrsprachig aufwachsenden Kinder zu erfassen und sichtbar zu machen.

zur LakoS-SprachenWelt

Quellen und Vertiefung

Folgendes Material wurde für diesen Impuls verwendet und enthält vertiefende Informationen zum Thema:

Autor:innengruppe Bildungsberichterstattung (2024). Bildung in Deutschland 2024. Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zu beruflicher Bildung; wbv Publikation (Link zur pdf-Datei)
Atlas zur deutschen Alltagssprache (Link zur Website)
Chilla, S./Fox-Boyer, A. (2016): Zweisprachigkeit/Bilingualität. Ein Ratgeber für Eltern; Schulz Kirchner Verlag
KATAPULT (2021): 100 Karten über Sprache; Katapult-Verlag
LakoS-Handreichung zum Leseprojekt „Erlebte Bücher“: Unterschiedliche Menschen, unterschiedliche Sprachen (Link zur pdf-Datei)
LakoS-Elternbriefe und -Infoblätter in verschiedenen Sprachen, die das Thema „mehrsprachiges Aufwachsen“ aufgreifen und sich für die Zusammenarbeit mit Familien eignen, finden Sie auf der LakoS-Homepage (Link für Bestellung oder Download als PDF-Datei)